Der grenzenlose Mutwille der Jugend ist ein Zeichen, dass der Weltuntergang nah bevorsteht.
Der Ausspruch soll so oder so ähnlich von Philip Melanchthon, einem engen Vertrauten Luthers, stammen und etwa 1530 getätigt worden sein. Gefunden hab ich das „Zitat“ im Netz in einem Fachbeitrag („Sogenannte Adoleszentenkrisen:…“) aus 2002 von Gunther Klosinski ohne Quellenangabe.
Die folgenden, häufig auch nicht belegten oder nicht quellensicheren Zitate habe ich einem Artikel bei bildungswissenschaftler.de entnommen. Ein Klick auf das entsprechende Zitat bringt vermeintliches Jahr und angeblichen Urheber. Bis auf das missratene Bibelzitat wurde auf Primärquellen verzichtet.
„Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte.“
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ca. 3000 v. Chr., Tontafel der Sumerer – (Quelle: Keller, 1989)
„Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe.“
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Keilschrifttext, Chaldäa, um 2000 v. Chr.
„Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten.“
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ca. 1000 v. Chr., Babylonische Tontafel – (Quelle: Watzlawick, 1992)
„Denn der Sohn verachtet den Vater, die Tochter steht wider die Mutter, die Schwiegertochter wider die Schwiegermutter.“
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Micha 7, Altes Testament um 725 v. Chr.
„Nicht ist der Vater dem Kind, das Kind dem Vater gewogen – Nicht ist der Bruder lieb, wie er doch früher gewesen; bald versagen sie selbst den greisen Eltern die Ehrfurcht.“
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Hesoid, vor 700 v. Chr.
„Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer.“
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Sokrates, 470-399 v.Chr.
„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“
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Sokrates, 470-399 v.Chr.
„… die Schüler achten Lehrer und Erzieher gering. Überhaupt, die Jüngeren stellen sich den Älteren gleich und treten gegen sie auf, in Wort und Tat.“
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Platon, 427-347 v. Chr.
„Was nun zunächst die jungen Leute angeht, so sind sie heftig in ihrem Begehren und geneigt, das ins Werk zu setzen, wonach ihr Begehren steht. Von den leiblichen Begierden sind es vorzugsweise die des Liebesgenusses, denen sie nachgehen, und in diesem Punkt sind sie alle ohne Selbstbeherrschung. […] zornmütig und leidenschaftlich aufwallend in ihrem Zorne. Auch sind sie nicht imstande, ihren Zorn zu bemeistern, denn aus Ehrgeiz ertragen sie es nicht, sich geringschätzig behandelt zu sehen, sondern sie empören sich, sobald sie sich beleidigt glauben. Auch hoffnungsreich sind sie, denn das Feuer, das dem Zecher der Wein gibt, haben die Jünglinge von der Natur […] sie tun alles eben zu sehr, sie lieben zu sehr und hassen zu sehr, und ebenso in allen anderen Empfindungen. Wenn ich die junge Generation anschaue, verzweifle ich an der Zukunft der Zivilisation.“
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Aristoteles, 384-322 v. Chr.
„Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“
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Aristoteles, 384-322 v. Chr.
„… bartlosen Jüngling, für Mahnworte harthörig, großspurig im Geldausgeben, hoch hinausstrebend, rasch im Begehren.“
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Horaz, um 30 v. Chr.
„… auf ihrem Höhepunkt kennt die Jugend nur die Verschwendung, ist leidenschaftlich dem Tanze ergeben und bedarf somit wirklich eines Zügels. Wer nicht dieses Alter nachdrücklich unter seiner Aufsicht hält, gibt unmerklich der Torheit die beste Gelegenheit zu bösen Streichen […] Unmäßigkeit im Essen, sich vergreifen am Geld des Vaters, Würfelspiel, Schmausereien, Saufgelage, Liebeshändel mit jungen Mädchen, Schändung verheirateter Frauen“ Als Gegenmaßnahme wird empfohlen „Hoffnung auf Ehre und Furcht vor Strafe […]. Diejenigen aber, die gegen alle tadelnden Vorstellungen taub sind, muß man durch das Joch der Ehe zu fesseln versuchen.“
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Plutarch, ca. 45-125 n.Chr.
Der Autor Achim Gilfert aus Witten möchte uns etwa folgendes sagen:
DIE ARME JUGEND
- Sie wird schon seit 5000 Jahren pauschal abgewertet.
- Die Abwertung ist unberechtigt.
- Im digitalen Zeitalter erreicht die pauschale Abwertung die abgewertete Jugend unmittelbar. Darum könnten sich einzelne Jugendliche ganz persönlich abgewertet fühlen.
Entschuldigung, aber das ist so abseitig, dass sich jeder mittelmäßig Begabte in seiner Intelligenz beleidigt fühlen müsste; eine fast vollständige Verdrehung der Tatsachen.
Es schien mir unnötig, intensive Quellenforschung zu betreiben. Einige Quellen, die ich stichprobenartig getestet habe, waren unbelegt.
Es ist kaum vorstellbar, dass z.B. Sokrates, der „Verderber der Jugend“ schlechthin, sich wie oben eingelassen hätte. Irgendwo habe ich vor einiger Zeit gelesen, dass diese Zitate ihm in den Mund gelegt wurden und keine 100 Jahre alt sein sollen.
Micha 7,6 ist aus dem Kontext genommen. Hier geht es vereinfacht gesagt um die Verderbtheit der ganzen Gesellschaft. (Klicken für Zusammenfassung Micha 7)
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Micha 7 ist das letzte Kapitel des Buches Micha im Alten Testament. Micha, ein Prophet des 8. Jahrhunderts v. Chr., richtet seine Worte hauptsächlich an das Königreich Juda. Das Kapitel ist in drei Abschnitte unterteilt: eine Klage über den moralischen Zustand des Volkes, eine Hoffnungserklärung auf Gottes Erlösung und ein abschließendes Gebet, das Gottes Gnade und Vergebung lobt.
Zusammenfassung
- Klage über die Sündhaftigkeit des Volkes (Verse 1-6): Micha beschreibt den moralischen Verfall in Israel und Juda. Korruption, Betrug und Ungerechtigkeit sind weit verbreitet. Vertrauenswürdige Menschen sind selten, und selbst familiäre Beziehungen sind von Misstrauen geprägt.
- Hoffnung auf Gottes Erlösung (Verse 7-13): Trotz der hoffnungslosen Lage äußert Micha sein Vertrauen in Gott. Er glaubt an Gottes Rettung und Vergebung. Micha prophezeit, dass Israel wiederhergestellt und seine Feinde besiegt werden.
- Gebet und Lobpreis (Verse 14-20): Das Kapitel endet mit einem Gebet, in dem Micha Gott um Schutz und Führung bittet. Er lobt Gottes unvergleichliche Gnade und Barmherzigkeit und erinnert an Gottes Versprechen, die Sünden seines Volkes zu vergeben und ihnen treu zu bleiben.
Die obigen „Zitate“ können uns aber ohnehin herzlich egal sein, selbst wenn die Quellenlage besser wäre. Sie sagen nichts über damalige Zeiten aus. Mir ist nicht bekannt, dass irgendeine Hochkultur untergegangen wäre, weil die Jugend über die Stränge geschlagen hätte. Damit sind die Aussprüche, soweit es sie denn überhaupt gegeben hat, einfach das hochgejazzte Geschwätz und Gejammer genervter Zeitgenossen.
Dass einzelne Jugendliche sich abgewertet fühlen, wenn sie irgendwo einer allgemeinen Jugendschelte Gewahr werden und dadurch dann psychische Schäden erleiden… Ist doch wohl nicht Ihr Ernst, lieber Herr „Bildungswissenschaftler“, oder doch? Egal.
Alte Menschen streben naturgemäß nach Ruhe und Erhalt von Werten, Jugend nach Aktion und Veränderung. Im o.g. Artikel wird unterschlagen, dass Jugend vieles, was erwähnt wird, auch ist bzw. macht. Nachdem, was man aus der Forschung bspw. über die Entwicklung des Gehirns Pubertierender weiß, ist zu konstatieren, dass die ganz unterschiedlich ausgeprägten „Ungezogenheiten“ junger Menschen quasi so sein müssen und auch dürfen. Jugendliche und junge Erwachsene sind zudem in der Findung. Sie messen je nach persönlicher Disposition ihre weltanschaulichen Vorstellungen mit den Alten, stellen deren Werte in Fragen, verfügen über ein erhöhtes Maß an sexueller Energie und leben, sofern der Raum dafür zur Verfügung steht, weitgehend lustorientiert. Dabei sind sie durchaus nicht zimperlich und stellen z.B. ihre Eltern vor mitunter erhebliche Probleme. Aber es bleibt, sofern der Rahmen nicht gesprengt wird, was es sein soll – ein Ablösungs- oder besser Reifeprozess. Das Infragestellen der eigenen Positionen spielt in dieser Phase des Lebens eine untergeordnete Bedeutung.
Selbst gesellschaftlich hat diese Rolle der Jugend einen sinnvollen Effekt. Althergebrachte Werte werden hinterfragt und ggf. von der folgenden Generation aus dem Wertekanon genommen, wenn sie nicht mehr zeitgemäß sind oder anderweitig an Bedeutung verloren haben. Anderes wird hinzugefügt. Passend dazu:
„Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme“
Thomas Morus (1478-1535)
Wo ist eigentlich das wirkliche Problem mit der Jugend? Sind das Problem wirklich die Jungen, oder nicht doch eher die Alten? Alle Alten, oder nur bestimmte Alte? Dazu werde ich in einem späteren Artikel kommen.
Achim Gilfert 01. November 2024
Vielen Dank für den differenzierten Beitrag. In meinem ergänzenden Beitrag https://bildungswissenschaftler.de/5000-jahre-kritik-an-den-jugendlichen-eine-problembilanz/ wird auch auf Ihre Kritik eingegangen und erläutert, wie der Beitrag entstand. Ich wäre Ihnen dankbar, diesen auch zu lesen. Ich denke, es kann keine einheitliche Ansicht zu dem Thema geben. Vielen Dank für Ihren Beitrag und meine Erwähnung.